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Samstag, 30. Dezember 2023

Abi, Afrika, ausgelaugt

Hi Jesse,

Tao war da - auf Lukes Abiball im Juni. Ich konnte es gar nicht glauben, als sie im Foyer zu weit fortgeschrittener Stunde plötzlich vor uns stand. Ihr Cousin?/Freund der Familie? war in Lukes Stufe. Rückblickend betrachtet sollte es einfach so sein, dass Luke beim ersten Versuch durch seine Abiturprüfung gerauscht ist. Selten passt ein Spruch besser. "Krone richten und weiter". Genau das hat dein "kleiner" Bruder gemacht, indem er sich dem Jahr in der Q2 und der Prüfung noch einmal gestellt und letztendlich ganz viel gewonnen hat: an (Allgemeiner Hochschul-)Reife, an Ruby und an Richtung. Ich bin stolz auf ihn, denn das erneute Herangehen war seine eigentliche Reifeprüfung, die ihn für das weitere  Leben fitter und handlungsfähiger gemacht hat. Ich weiß, du wärest ebenso stolz auf ihn wie  ich es bin, Jesse.

Mit dem Abiturzeugnis in der Tasche und einem fettem Grinsen im Gesicht sind wir dann wenige Tage später gemeinsam mit Andi und Ralf nach Südafrika geflogen. Was für eine Reise! Ich bin noch immer berührt, wenn ich an die vielfältigen und ehrfürchtigen Begegnungen mit den Menschen und Tieren in diesem ursprünglichen Land denke. Auch diese Reise sollte sein - schon das Layout dieses Blogs weist darauf hin -  und ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass wir all das Erreichen und Umsetzen können, was tief in unserem Herzen schlummert - sofern es in unserer Macht steht. 

Zwar konnte ich deinen und Viannes Tod nicht verhindern, aber ich kann das Danach gestalten. Nur gelingt es mir aktuell nicht mehr so gut, wie ich es mir vorgenommen habe. Ehrlich gesagt bin ich unglaublich müde, zermürbt, kraft- und sogar etwas hoffnungslos nach über acht Jahren ohne Vianne und dich. Du weißt: ich bin keine Langstreckenläuferin. Der Sprint liegt mir eher. Was kann ich tun?




 Für meine Klienten/Klientinnen habe ich häufig verschiedene Techniken parat, um den Wohlfühltank und erschöpfte Akkus wieder aufzuladen - mir selbst gegenüber bin ich zunehmend ratlos. Zumindest weiß ich, dass ich zu viel um die Ohren habe mit meiner Tätigkeit im WPE, der Therapeutenausbildung und der PSAPOH-Vorstandsarbeit, um mit mir pfleglich umgehen zu können. Nur habe ich mir diese Tätigkeiten ganz allein ausgesucht. Dabei kenne ich meine Waschanleitung gut: 30 Grad Buntwäsche, nicht trocknergeeignet. Blöderweise stelle ich die Temperatur zu oft auf 60 Grad mit anschließendem Schleudergang von 1400 Umdrehungen und Trocknernutzung. Das schadet dem Gewebe wohl langfristig. Es ist mir bewusst und ich weiß das alles. Ich weiß.. Dabei bräuchte ich eigentlich Ruhe, um mich überdenken und evtl. neu ausrichten zu können. Wenn alles gut läuft, werde ich Mitte 2024 meine Therapeutenausbildung beendet und etwas mehr Luft haben. Drück mir die Daumen.

Ich bin sehr dankbar, dass es diese Zeilen an dich und über dich und Vianne gibt. Denn unser Gedächtnis ist etwas Trügerisches. Bewusste Erinnerungen gehen verloren. Erinnerungen verfälschen sich. Das ist neurowissenschaftlich belegt. Unsere Erinnerungen wandeln sich, Neues wird hinzugedichtet und anderes weggelassen oder in einen veränderten Kontext gesetzt. Um so dankbarer bin ich, dass ich so viele Gedanken über euch aufgeschrieben habe. Aber all die Erinnerungen, die sich nicht in Worten oder Bildern manifestiert haben, verblassen nach und nach. Und das ist schwer für mich zu ertragen. Ich weiß, dass es sie noch gibt, in den Geheimschubladen in meinem Gehirn. Nur sind sie eben nicht mehr bewusst abrufbar, und das macht mich traurig. Denn wenn man diesem Gedankengang weiter folgt, heißt es konsequenterweise, dass auch du ein Stück weit verblasst. 

Was jedoch nie verblassen wird, ist dieses überwältigende Gefühl der Liebe und Verbundenheit, das ich dir gegenüber empfinde. "Mein Herz zu deinem Herz. Meine Seele zu deiner Seele." - meine ersten Worte an dich, nachdem du auf diese Welt gekommen bist, mein Großer. 

Fly high!