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Freitag, 28. Oktober 2016

Geburtstag

Es ist bereits der zweite Geburtstag, den wir - ohne dich, aber in Gedanken ganz nah bei dir - "gefeiert" haben. Im letzten Jahr war dein Tod gerade einmal vier Wochen her. Vier Wochen trennten dich nur noch von deinem 16. Geburtstag. Dein 16. war dir so wichtig - endlich hättest du "offiziell" länger mit deinen Freunden, die alle mindestens ein halbes, wenn nicht sogar ein Jahr älter waren, da du schon mit fünf Jahren eingeschult worden bist, unterwegs sein können. Du hättest endlich neue Rechte (und Pflichten, hähä) gehabt. Tao und Marvin hatten sich schon eine entsprechende Überraschung ausgedacht...sie hätte dir gefallen und ich sehe in Gedanken dein verschmitztes Lächeln vor mir.  Wir hatten damals erst überhaupt keinen Plan, wie wir deinen Geburtstag ohne dich angehen sollten. Allein die Vorstellung, zuhause bei Kaffee und Kuchen zusammenzusitzen, löste bei mir einen Brechreiz aus. Beim Laufen kam mir schließlich die zündende Idee. Ausgestattet mit Kerzen, deinem Lieblings-Schokokuchen (mit flüssigem Schokokern) und Fotoausdrucken (auf denen du jeweils mit einem von uns abgebildet bist) haben sich Micha, Ada, Luke und ich auf's Rad geschwungen und sind zu den Orten gefahren, an denen du häufig und gerne warst. Und wir hatten deinen Rucksack mit den Spraydosen dabei... Ich musste raus, dir Nahe sein, Dinge tun, die du gerne gemocht hast. Unsere erste Tour ging nach Iserlohn zur Skateanlage unter der Seilerseebrücke. Dort haben wir uns mit deinen Freunden getroffen, die uns eingeladen hatten, dazu zu kommen. Wir fühlten uns so sehr willkommen. Du hast tolle Freunde!! Sie haben Teelichter für dich aufgestellt, haben später am Abend Schwimmlichter über den See treiben lassen... und andere Dinge getan, die dir gefallen hätten - ganz sicher. Wir haben Kuchen und Getränke geliefert. Es war so leicht in ihrer Gegenwart. Wir alle, auch Ada und Luke, fühlten uns dir so nah inmitten deiner engsten Freunde. Deine Freunde haben eine Atmosphäre geschaffen, die man - glaube ich - nur hinbekommt, wenn man jünger ist. Natürlich waren Traurigkeit und eine enge Verbundenheit, Ernsthaftigkeit und Wertschätzung, auch Vermissen zu spüren, aber auch noch so viel mehr: etwas Leichtes, Lebendiges, Energiegeladenes, etwas Renitentes, Sprühendes, etwas was Zukunft zuließ. Wir haben dir einen Schokomuffin, eine Kerze und Fotos dagelassen - und sind weitergezogen... Nächster Halt: Hauptschule Hennen. Du bist dort mal auf dem Dach gescatet (hätte ich das vorher gewusst hätte ich dir eine gehörige Standpauke gehalten, mein Lieber), ihr habt euch dort getroffen, mal Basketball gespielt, sicherlich noch etlichen weiteren Blödsinn veranstaltet... Auch wir haben Blödsinn veranstaltet, gemeinsam mit Ada und Luke - und es fühlte sich gut und reinigend und revolutionär an, frei nach dem Motto: F... dich, Schicksal. Wir haben albern gekichert, innig an dich gedacht und du hättest dich sicherlich über uns schlapp gelacht und ungläubig dreingeschaut, hättest du uns sehen können. Auch hier haben wir Kerzen, Kuchen und Fotos zurückgelassen... und einen Teil von dir. 




Anschließend sind wir zum Friedhof geradelt: Kerze, Kuchen, Foto. Dann hatten Luke und Ada keine Lust mehr, aber eine Station lag noch vor uns: die Ruhr. Deine Geschwister sind zuhause geblieben, das war für uns völlig in Ordnung. Micha und ich haben uns dann ohne die zwei auf den Weg zu Schoofs Brücke gemacht und sind in das kleine Wäldchen gegangen. Der ganze Waldboden war von Kastanien übersät, die Äste der Bäume haben im Wind geknarzt. Kerze, Kuchen, Fotos. Du warst da! Die Mauer im Bahnwald habe ich später besucht...
Vor wenigen Tagen wärst du 17 Jahre alt geworden. Wir waren über deinem Geburtstag auf Mallorca - wie damals vor zwei Jahren, im Oktober 2014. Da haben wir alle zusammen abends bei "Joan Marc" - einem erstklassigen und experimentell angehauchten Restaurant in Inca - gefeiert. Alle: Vianne, Ada, Luke, Micha, Andi, Ralf, ich und natürlich du! Du hast in Ibérico Schweinefleisch von Pata negra Schweinen geschwelgt, du alter Gourmet. Auch dieses Jahr waren wir wieder gut und gehoben essen - aber nicht bei Joan Marc, das hätten wir emotional nicht geschafft. Zuvor haben wir gemeinsam mit Andi und Ralf, Luke und Ada sechseinhalb Stunden lang den Torrent de Pareis bezwungen, die monumentale Sa Calobra Schlucht - mit Vianne und dir im Gepäck. Wir sind geklettert, geschlittert, ausgerutscht, haben uns durch schmale Spalten unter riesigen Felsbrocken hindurchgequetscht, uns an Seilen entlanggehangelt und gegenseitig gesichert. Es war anstrengend, aber ebendiese körperlich und mentale Anstrengung tat unglaublich gut. Vor beeindruckender Felskulisse habe wir ein Teelicht für dich aufgestellt (der Ort hätte dir gefallen) und dir ein leises Geburtstagslied gesungen.








Mittwoch, 5. Oktober 2016

Wasser

Es gibt so viel zu erzählen, und ich habe Sorge, auch nur die winzigste Erinnerung an dich zu verlieren. Ich will nicht vergessen, nicht eine einzige Sekunde dieser 15 Jahre und 11 Monate mit dir, bei dir, neben dir. Denn es wird keine neuen Erlebnisse mehr geben.... Ich wusste bis gerade eben gar nicht so genau, wo ich anfangen soll. Chronologisch vorzugehen erschien mir zu organisiert, zu konstruiert - das würde auch nicht passen, weder zu dir noch zu mir. Wir haben beide so unsere chaotischen Züge, kommen letztendlich aber immer irgendwie an. Und jetzt weiß ich, wie ich vorgehe. Ich schreibe immer dann, wenn ich eine Sache mache und dabei die Erinnerung an dich plötzlich da ist. Aus dem Nichts. Das passiert sehr, sehr häufig. Meine erste Erinnerung in den letzten Tagen - zum Thema "Wasser" - kam beim Kitekurs in Holland. Ich hatte zeitweilig wirklich Angst, vom Kiteschirm unkontrolliert durchs Wasser gezogen zu werden. Ich bin ein sicherer Schwimmer, und trotzdem habe ich großen Respekt vor Aktionen auf und im Wasser. Auch du mochtest Wasser lieber in gefrorener Form - nämlich unter deinem Snowboard.... und darauf warst du wahnsinnig gut. Während Luke von Geburt an eine "Wasserratte" war, standest du diesem Element von Anfang an eher skeptisch gegenüber. 
Als du acht Monate alt warst, habe ich mit dir einen Babyschwimmkurs besucht. Schon beim Betreten der völlig überheizten Schwimmhalle hast du äußerst skeptisch geguckt. Sobald ich mit dir auf dem Arm ins Becken gestiegen bin, hast du angefangen zu schreien und der Umwelt lautstark deinen Unmut kundgetan. Die meisten anderen Babys glucksten indessen vor Freude und strampelten vergnügt mit ihren kleinen speckigen Beinen. Die Schwimmlehrerin wandte sich völlig entspannt an mich: "Das gibt sich. Warten Sie's ab." Nun ja: Ich wartete ab, aber beim achten Mal hast du immer noch lauthals gebrüllt, während die anderen Babys fleißig und tiefenentspannt untertauchten. Zum Ende des Kurses meinte dann auch die Schwimmlehrerin: "Ähm, Ihnen würde ich keinen weiteren Kurs empfehlen." Ach so...
Ich glaube, du warst acht Jahre alt, als du das erste Mal den Kopf freiwillig unter Wasser gesteckt hast, obwohl du früh, mit gerade einmal fünf Jahren, auf Korsika schwimmen gelernt hast. Seltsam. Früher warst du viel mehr auf Sicherheit bedacht als in den letzten Jahren. 
Du warst ungefähr zwei Jahre alt, als wir mit dir an die Algarve geflogen sind. Allerdings durften wir uns dem Meer und den Wellen auf gerade einmal 20 Meter nähern. Sobald du die Wellen gesehen hast, hast du angefangen zu brüllen. War ein wirklich "entspannter" Strandurlaub mit dir. Zumindest mussten wir nie Sorge haben, dass du ertrinkst. 
Als du drei Jahre alt warst sind wir zusammen ins Freibad gefahren. Du bist - schon etwas mutiger - neugierig zum Beckenrand gerannt. Ich habe die Schwimmärmchen hervorgeholt und dir erklärt, dass es sicherer sei, sie zu tragen, da du ja noch nicht schwimmen konntest. Am nächsten Tag wollte ich mit dir lediglich einkaufen gehen. Während wir schon aufbruchbereit im Flur standen bist du noch einmal zurück in dein Zimmer gelaufen, hast deine Schwimmärmchen hervorgekramt, sie dir über die Arme geschoben und ernst und feierlich verkündet: "Is sicherer!" Also sind wir in voller Schwimmärmchenmontur losgezogen, denn ich konnte dich nicht bewegen, die Dinger wieder auszuziehen. Im Supermarkt wurden wir gefühlte 1000 Mal von freundlichen älteren Damen angesprochen, ob es gleich noch ins Schwimmbad ginge. Du hast sie alle angestrahlt, deinen strohblonden Schopf geschüttelt und nüchtern verkündet: "Ne, aber is sicherer!" Irgendwann hast du aber gemerkt, dass Schwimmen sogar Spaß machen kann. 2008 am Achensee hat Luke dich hinterhältig von einem Fels in voller Montur ins kalte Wasser geschubst und du hast es mit der Fassung eines älteren Bruders getragen - zumindest in unserer Gegenwart. Ich glaube allerdings, du hast dich später an ihm gerächt... ich erinnere mich an den Achensee und eine Schmerzwelle überrollt mich gerade: auch letztes Jahr - Sommer 2015 - waren wir da... unser letzter gemeinsamer Sommerurlaub mit dir und Vianne... es ging Vianne schon schlecht in den letzten Tagen dieses Urlaubs... Wir versuchten, mit lustigen Spielen die Schwere zu vertreiben und in die Schranken zu weisen, wollten einen Hauch Unbeschwertheit leben. Ich ging mit dir und Luke zum Steg, wo wir uns lustige Spielchen ausdachten. Wer mehrere Fragen, die wir uns spontan ausgedacht hatten, nicht richtig beantworten konnte, wurde ins Wasser geschubst. Es war bereits dunkel. Du hattest nicht damit gerechnet, dass du die von Luke gestellte Frage nicht beantworten konntest und bist unter heftiger Gegenwehr schließlich doch wieder im Achensee gelandet. Du fehlst... Es ist etwas mehr als ein Jahr her... und ist doch so lebendig in meiner Erinnerung! Wasser....
Im Sommer 2011, zum Ende unserer Frankreich-Tour, hatten wir gemeinsam mit Freunden ein schönes Ferienhaus mit einem großartigen Pool gemietet. Luke nahm Anlauf und sprang einen Salto vom Beckenrand. Das hat dich total gefuchst, weil du dich anfangs nicht getraut hast, obwohl du der Ältere warst. Du hast etliche Anläufe gemacht, dann aber kurz vorm Absprung gezögert, was zu wirklich lustigen "Stunts" geführt hat. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, ob du es am Ende hinbekommen hast... 
Wakeboarden fandest du in Ordnung, es wurde aber nie zu deinem Lieblingssport. Der Surfkurs am Gardasee im Sommer 2014, gemeinsam mit Kai, hat dir richtig gut gefallen. Und 2013 in der Schweiz hast du dich gemeinsam mit Martin, Paula, Micha, Luke und mir von der Rheinströmung mitreißen lassen. Was für ein Spaß! Abgesehen von deiner etwas schwierigen Kleinkind-Wasserphase hast du dich später immer gerne im oder am Wasser aufgehalten: du hast - ebenso wie ich - das Meer geliebt, allerdings mit dem nötigen Respekt. Und zuletzt hast du dich oft mit deinen Freunden an der Ruhr oder am Seilersee getroffen... Wasser...