Ich bin da. Wir alle sind da, um deinen Geburtstag zu feiern, mein Großer. Wobei "feiern" nicht das richtige Wort zu sein scheint. Jeder von uns ist dem heutigen Tag anders begegnet- und das ist auch gut, gesund und richtig so. Ich war nicht an deinem Grab. Ich habe mir keine Zeit dazu gelassen. Seltsam. Ich habe meinen Tag vollgeschaufelt, wahrscheinlich um ihn auszuhalten. Und dabei fehlt mir jetzt die Zeit mit dir. Aber ich konnte mich ihr anscheinend nur dosiert stellen. Weil ich dich so unglaublich liebe und vermisse. So sehr, dass ich meinen Herzschmerz heute körperlich spüren konnte. Ich habe heute bis zum Mittag gearbeitet, auch wenn ich dabei ein schlechtes Gewissen hatte. Auf der Hin-und auf der Rückfahrt habe ich schreiend und weinend im Auto gesessen, die Musik voll aufgedreht. Dazwischen habe ich gut funktioniert. Mir war nur eines heute auf der Rückfahrt wichtig: dich irgendwo zu sehen, irgendein Zeichen von dir zu erspähen. Vielleicht einen Regenbogen? Bereits auf dem Weg von meinem Arbeitsplatz zum geparkten Auto öffnete der Himmel seine Schleusen und ein Platzregen und heftige Windböen peitschten um mich herum. Ja, so ist's Recht. Die Naturgewalten werden deinem Verlust gerecht, als ob die Elemente wüssten, was für eine Scheiße da passiert ist. Danach wollte ich nur noch rechtzeitig zu Hause sein, um mit Luke und Ada deine Lieblings-Pancakes zu backen. Die Zeit war hier ebenso knapp bemessen, da Ada bereits um 14 Uhr einen Impftermin hatte. Mist, Blaubeeren hatten wir keine mehr, meine Idee kam wieder zu spontan und ungeplant, erst am Abend zuvor war sie gereift, und ich hatte mal wieder keine Zeit, diese kleinen, lilablauen schmackhaften Beeren noch rechtzeitig zu besorgen. Aber es hat geklappt. Wir haben mit Himbeeren und Äpfeln improvisiert. Luke, Ada und ich haben uns ins Zeug gelegt. Und es tat gut. Ich hatte dich dabei die ganze Zeit vor Augen, wie du zufrieden über einem Turm von Blaubeer-Pfannkuchen an unserer Küchentheke sitzt, ertränkt in einem Meer aus Ahornsirup.
Luke feiert deinen Geburtstag nicht mit kleinen Geschenken oder Aufmerksamkeiten: Er drückt seine Liebe zu dir aus, indem er mich liebevoll in die Arme nimmt und seiner kleinen Schwester mit liebevoll-humorigen Äußerungen die Tränen trocknet.
Ada hat dir diesen wundervollen Brief abends zuvor geschrieben. Er spricht für sich und besteht aus purer Liebe und Zuversicht.
Micha trägt dich ständig so nah bei sich, nach außen unsichtbar, und doch so präsent.. Er geht deinen Geburtstag mit leiser, inniger Verbundenheit zu dir an.
Ich feiere dich, indem ich vor Schmerz heule, Pancakes futtere, dich dabei bildlich vor Augen habe, einer lieben Freundin von dir erzähle, und lächelnd an deinen Geburtstag vor 20 Jahren denke. Du hast nachts gegen 2 Uhr unsere Welt betreten, mit der Hand an der Stirn, wie ein kleiner Denker.
Vom ersten Moment an hast du deinen Abdruck hinterlassen und mein Herz erobert, meine Seele und meinen Geist berührt. Kurze Zeit später habe ich dir diese Worte zugeflüstert: "Mein Herz zu deinem Herz. Meine Seele zu deiner Seele." Du bist mir von der ersten Sekunde an so vertraut gewesen, ich habe mich dir absolut verbunden gefühlt.
Keine Spur von Unsicherheit, obwohl du mein Erstgeborener warst. Irritiert kamen die Krankenschwestern kurz nach deiner Geburt andauernd in unser Zimmer, um ihre Hilfe anzubieten. Ich musste nur grinsen und habe ihnen mehrmals versichern müssen, dass alles bestens sei und wir zwei keine Hilfe benötigten, was sie zwar sehen, aber nicht glauben konnten. Ganz schnell haben wir das Krankenhaus verlassen, um uns in Ruhe kennenlernen zu können.
Happy Birthday, Jesse. Hoffentlich gibt es in deiner Welt Blaubeer-Pancakes...
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