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Mittwoch, 28. Juni 2017

Ähnlichkeit

Luke ist mittlerweile 13 Jahre alt - und er wird dir immer ähnlicher - es ist schön und schmerzhaft in einem. Natürlich ist er eine ganz eigene Persönlichkeit und das ist gut so. Er soll das "Luketypische" nie verlieren. Schon immer habe ich die Vielfalt von euch Vieren geliebt. Ihr ward euch auf eine Art alle ähnlich - und doch so unterschiedlich. Es war richtig spannend. Es sind Kleinigkeiten, angefangen von seiner Figur bis hin zu einigen Interessen, die mich an dich erinnern: er ist sehr viel gewachsen im letzten Jahr, wahnsinnig in die Höhe geschossen...wie du - damals. Allein die Form seiner Beine und die stinkigen, abgelaufenen Turnschuhe lassen Erinnerungen aufleben. Er ist offener als du, erzählt etwas mehr. Vielleicht war damals unter Viannes Erkrankung einfach nicht der Raum für dich da, ausführlicher erzählen zu können??? Nein, du warst schon immer etwas verschlossener und hast viel mit dir selbst ausgemacht. Ihr beide habt eine Affinität zum Unterrichtsfach Deutsch - es fällt Luke ebenso leicht wie dir, obwohl du Worte noch etwas treffender einzusetzen wusstest als dein Bruder. Irgendwann hat er dich ein, wird auch 15 Jahre alt sein - in zwei Jahren wäret ihr dann wie Zwillinge, denn es gibt keine Bilder von dir in meinem Kopf über dein 16. Lebensjahr hinaus. Es ist so verstörend. Deine Freunde und Weggefährten werden natürlich hingegen älter, sind mittlerweile volljährig (oder kurz davor), fahren Auto, haben ihr Abi in der Tasche, sind zu jungen Erwachsenen gereift - es ist so verwirrend und so schwer, die Bilder übereinander zu bekommen. Noch immer denke ich manchmal, du würdest gleich durch das Gartentor treten oder mich anrufen und beiläufig fragen, wann ich denn nach Hause kommen würde, weil du 'mal wieder deinen Haustürschlüssel vergessen/verlegt/verloren hast und auch den Ersatzschlüssel von Steffi (den du dir bereits den Tag zuvor besorgen musstest) in deinem Zimmer liegengelassen hast, anstatt ihn zurückzubringen. Du wirst keinen Tag älter werden, keine neuen Bilder, nur in meiner Phantasie. Manchmal male ich mir aus, wie du jetzt - mit 17 - aussehen würdest, wie du dich benehmen würdest...
Ich möchte viel öfter von dir erzählen, so dass ich manchmal gar nicht mehr weiß, wo ich anfangen soll. Ich führe ein kleines Notizheft mit mir. Dort sammele ich alle Gedanken über dich. Manchmal reicht ein klitzekleiner Auslöser und die Bilder strömen auf mich ein. Ich sammle in dem Heft Gespräche von Ada und Luke über dich... Gerade ist mir aufgefallen, wie viele Details aus dem Jahre 2015 und 2016 dort aufgeschrieben stehen - und wie wenig ich davon erzählt habe. Ich dachte wirklich, ich hätte es schon in deinem Blog erzählt. Fehlannahme!
Sonntag, 4. Oktober 2015 - am Strand in der Nähe von Nizza: du bist erst vor wenigen Wochen gestorben, Vianne vor etwas mehr als zwei Monaten. Ada und Luke streiten sich inmitten von Sand und Muscheln, Meer und Wellen unter einem strahlend-blauen Himmel - es ist so surreal: die Meeresbrise, leuchtende Farben um uns und tiefstes Schwarz in mir. Ich trage trotzig ein knallrotes Kleid - eine Hommage an das Leben  - und frage mich, wie sich die beiden bloß so streiten können, wo sie sich doch nur noch haben. Vianne und Jesse sind fort. Ich knalle ihnen mein Unverständnis über ihre Streitigkeiten direkt vor den Kopf: "Ihr habt nur noch euch beide - warum könnt ihr nicht nett miteinander umgehen??", frage ich sie mit einem bitteren Unterton in meiner Stimme. Bis Luke diesen einen Satz sagt. Ganz leise: "Ich suche Jesses Zurechtweisung. Er hat mich immer zurechtgewiesen, wenn ich Ada geärgert habe. MIR FEHLT JESSES ZURECHTWEISUNG!" Eine ganz eindeutige, klar formulierte Aussage. Er hat so recht! Ich nehme beide in die Arme und wir legen aus Muscheln gemeinsam deinen und Viannes Namen in den Sand....



 


31.Oktober 2015 - zuhause: dein Zimmer ist so, wie du es verlassen hast, bevor du auf die Tennisfahrt gegangen bist. Nein, nicht ganz. Deine gepackte Reisetasche steht im Raum. Das Krankenhaus hat sie uns mitgegeben. Darin die Sachen, die du nach Winterberg mitgenommen hast. Du hast sie nicht mehr getragen. Du bist gestürzt, bevor du dort übernachten konntest... Ich krame in deiner Tasche auf der Suche nach dir... Neben deinem Bett liegt ein weißes T-Shirt, dass du in deiner letzten Nacht zuhause getragen hast. Ich presse es mir auf die Nase, sauge deinen Geruch ein, unfähig, es wieder zur Seite zu legen. Ich schaue in eine Schublade und finde dein altes Freundebuch aus der Grundschule. Anschließend liege ich bäuchlings in deinem Zimmer auf dem Boden, auf dem Boden, den du dir für dein Zimmmer ausgesucht hast. Ich liege dort schreiend, weinend...lange...
01. November 2015 - draußen.: dank Rafaels guter Beschreibung habe ich heute beim Laufen endlich die Natursteinmauer, eine kleine Mauerruine umwachsen von Grün, im lichter werdenden Wald gefunden - ein magischer, ein mystischer Ort. Endlich kann ich mit eigenen Augen sehen, was du gesprayt hast: Winnie Puh, Patrick und ein kleines Monster schauen mich an. Du schaust mich an. Du bist mir hier so nah. Ich verweile lange bei dir.


17. November 2015 - zuhause: Luke möchte am Fußballtraining teilnehmen. Seine Entscheidung kommt für uns aus heiterem Himmel. Er hat sich noch nie für Fußball interessiert. Aber jetzt auf einmal. Auch du hast Fußball gespielt. Rate mal, wer Lukes Mannschaft trainiert? Dein ehemaliger Trainer und dein Schulkollege, mit dem du früher gemeinsam in einer Mannschaft gespielt hast. Was für ein seltsamer Zufall. Mir wird übel vor Schmerz, aber ich möchte Luke nicht bremsen. Du hast ungefähr in Lukes Alter mit dem Fußballtraining aufgehört. Also müssten Luke deine Sachen passen. Ich versuche, ganz pragmatisch zu denken. Du hättest nichts dagegen, dass Luke deine Sachen trägt. Ich glaube sogar, du könntest dir keinen Besseren darin vorstellen. Ich frage ihn, ob er mit mir gemeinsam schauen möchte, ob etwas Passendes für ihn dabei sei. Er möchte. Ich weise ihn mehrmals darauf hin, dass wir auch neue Sachen kaufen können. Aber er möchte unbedingt in deinen Sachen nachschauen. Wir gehen in dein Zimmer, räumen deine alte Fußballtasche aus. Alles passt ihm: die Fußballschuhe, die Trainingsjacke, die Fußballhose. Er trägt deine Sachen ganz ohne Berührungsängste. In seiner neuen Mannschaft wird Luke Torwart... wie du damals.  Ich habe Angst, dass er versucht, dich zu ersetzen oder zu kopieren. Abends nehme ich ihn beiseite und sage ihm eindringlich, dass er auf alle Fälle Luke bleiben soll, dass er dich nicht ersetzen muss, dass er genau richtig ist wie er ist - nämlich Luke -  wichtig und wertvoll für uns. Er antwortet, dass wir uns keine Sorgen machen sollen.. Wenige Tage später hole ich mir Rat bei einer Psychologin, die mich zum Glück beruhigen kann. 
Fortsetzung folgt!

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