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Montag, 11. September 2017

Fortsetzung: Ähnlichkeit

Mit Erschrecken stelle ich fest, dass der letzte Post beinahe drei Monate zurückliegt und ich noch immer keine Fortsetzung geschrieben habe... 
29.11.2015: Es ist der 1. Advent - unsere erste Vorweihnachtszeit ohne dich - und ohne Vianne. Nach Viannes Tod schoss mir kurz der traurige Gedanke durch den Kopf, dass unser Familienadventskalender ohne sie nicht funktioniert, dass sich die 24 Tage bis Weihnachten nicht durch 5 Personen teilen lassen... Wie pervers... nur wenige Wochen später ließ sich der Familienkalender wieder teilen... durch uns 4. Wir füllen ihn aber nach wir vor jedes Jahr für sechs Familienmitglieder, denn ihr seid noch immer ganz nah bei uns. Ada stellt dir jedes Jahr deinen heißgeliebt-hässlichen, grünen, aufblasbaren Plastikweihnachtsbaum ins Zimmer und diese Geste rührt mich immer zutiefst. 
17.01.2016: Alles, was zum ersten Mal ohne dich geschieht, ist unglaublich schwer. Wir machen uns mit Ada und Luke auf nach Altastenberg zum Ski- und Snowboardfahren. Es ist schrecklich, dass du nicht an Lukes Seite boardest und ihm keine Sprünge und Tricks mehr beibringen kann. Du wärest stolz auf ihn gewesen. Es ist schrecklich in die Nähe des Ortes zu fahren, wo du verunglückt bist. Aber es ist auch gut und heilsam, weil wir dir beim Snowboardfahren nah sein können. 
24.01.2016: Der Schmerz ist ein allgegenwärtiger Begleiter, so stark, so präsent in den letzten Wochen. Luke möchte nachts bei uns schlafen - Adas Nähe reicht ihm nicht mehr. Er hat wiederkehrende Alpträume - er sieht, wie du stürzt... vom Balkon. Immer und immer wieder. "Ich vermisse ihn!", sagt er uns mit Tränen in den Augen. Ja, er vermisst dich schrecklich. Luke erzählt uns, wieviel 'Mist' ihr zusammen gemacht habt, und muss dabei schon wieder schmunzeln. "Wenn mir langweilig war, bin ich immer zu Jesse gegangen...", erinnert er sich. An diesem Tag stehe ich an einer Weggabelung: Welches Leben werde ich wählen? Das Leben, in dem ich funktioniere - oder das Leben, in dem ich lebe?
17.03.2016: Ich war heute am MGI (Märkisches Gymnasium Iserlohn), an deinem Gymnasium, das auch dein Bruder besucht. Es ist so befremdlich und du bist so allgegenwärtig, obwohl es bei diesem Termin um Luke geht. Es ist alles so verwoben. Ich sehe dich auf dem Schulhof... ich stehe deiner Bio-LK-Lehrerin gegenüber, die zugleich Lukes Klassenlehrerin ist. Vor gut einem halben Jahr war ich zu deiner Stufenpflegschaftssitzung hier...
Juni 2016: Luke hat nur einen Wunsch: "Ich möchte Jesse nur noch ein einziges Mal richtig sehen dürfen." Ich kann deinem Bruder diesen Wunsch nicht erfüllen. Lukes Schmerz ist mein Schmerz. 
Sommer 2016: Im ersten Halbjahr 2016 spricht Luke uns zögerlich darauf an, ob er in dein Zimmer ziehen dürfe. Ich finde es gut, dass er fragt, fühle mich andererseits in diesem Moment wie von einer dicken Watteschicht umhüllt, durch die nur dumpf die Worte dringen. Wir fragen ihn in den kommenden Wochen wiederholt, ob er das wirklich wolle, hinterfragen, ob es ihm wirklich gut tun würde. Aber er bleibt beharrlich und zeigt uns, dass es ihm sehr wichtig ist. "Ich fühle mich Jesse dort nah", erklärt er mit einer Reife in der Stimme, die mich schier sprachlos macht. Er hat so recht. Ich möchte aus deinem Zimmer keinen Schrein machen. Es muss wieder mit Leben gefüllt werden und ich bin mir sicher, dass du dir dort niemand anderen als Luke vorstellen kannst. Andererseits habe ich so eine Angst vor dem Schmerz, der mich überrollen wird, wenn wir deine Sachen zusammenpacken - dein Leben einpacken. Wir bitten Luke noch um etwas Zeit, bevor wir den Zimmertausch (und die Renovierungsarbeiten) angehen, weil ich noch nicht so weit bin. Er ist so verständnisvoll und geduldig. Ich bin ihm absolut dankbar, dass er letztendlich den Anstoß gegeben hat. Im Sommer 2016 haben wir es geschafft, dein Zimmer auszuräumen, deine persönlichen Dinge, deine Kleider zusammenzupacken. Es war ein intimer Moment, es war ein zerreißender Moment. 15 Jahre Leben auf Kartons verteilt - liebevolle, schmerzhafte Erinnerungsstücke. Wir sehen dich nach wie vor in deinem Zimmer, aber das Zimmer hat ebenso eine besondere Luke-Note erhalten. Er ist dir so ähnlich, dein Bruder, und doch so wohltuend einzigartig. Er schläft seitdem übrigens wieder sehr gut. Es war die richtige Entscheidung.

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