Ich bin zurück - in vielerlei Hinsicht. Ich bin zurück auf deinem Blog. Ich bin zurück aus Thailand und Australien. Ein winziger Teil meiner selbst, der, den du zu deinen Lebzeiten kennengelernt hast, ist zurückgekehrt, auch wenn dieser Teil noch äußerst fragil und durchscheinend ist. Aber ich behalte ihn.
"Ich habe sozusagen zu leben gelernt, als mir die Einsicht kam, dass ich niemals Glück oder Frieden finden werde. Aber solange ich weiß, dass die Chancen, das eine oder andere von Zeit zu Zeit zu erwischen, nicht allzu schlecht stehen, gebe ich mein Bestes zwischen den großen Augenblicken."
(Hunter S. Thompson)
Es ist lange her, dass ich hier etwas niedergeschrieben habe, Jesse. Ich wusste nicht, wie ich nach dieser langen Auszeit anknüpfen sollte... wir sind verändert in ein verändertes Land zurückgekehrt, wobei ich nicht nur die vielen Kehrseiten sehe. Unsere Rückkehr verlief, abgesehen von den etwas turbulenten und bis zuletzt unsicheren Rückflügen, sehr behutsam und beinahe sanft, da das gesellschaftliche Leben in Deutschland nahezu auf Null gefahren war. Das kam uns zu Gute, da wir die letzten Monate ohne Verpflichtungen, Anforderungen und Termine in unserer Familieneinheit verbracht haben und die Rückkehr in das "normale" Leben uns sicherlich überfahren hätte. Keine Sporttermine, kein Präsenzunterricht, keine Partys, kein - alles. Wir waren glücklich, Vita und unser Zuhause wiederzusehen, saßen in unserem kleinen Garten in der Sonne und waren noch beseelt und bestärkt von den wohlig-warm-erdigen Reiseeindrücken.
Zehntausende Kilometer entfernt fiel es so viel leichter, demütig und dankbar auf die gemeinsame Zeit mit dir zurückzuschauen - ergriffen von deiner Persönlichkeit, deinem herzhaften Lachen, deiner Sturköpfigkeit und deiner feinen Ironie. Wie oft am, im und auf dem Meer, unter dem seltsam verdrehten Sternenhimmel, in den unglaublichen eukalyptusgrün schimmernden Weiten der Blue Mountains oder unter dem schützenden satten Blätterdach des Regenwaldes habe ich mit einem Lächeln an dich gedacht. Hier zu Hause denke ich so oft voller tiefer Trauer an dich - und das nimmt dich mir gleichzeitig wieder weg.
In einer der ersten Nächte in Thailand wurde mir plötzlich bewusst, wie weit ich räumlich von dir entfernt bin - und ich rang nach Luft vor lauter Furcht vor dem Gedanken, dass ich aus irgendeinem Grund nicht mehr an diesen Ort, an dem du alles durchtränkst, an dem die letzten wenigen persönlichen Dinge von dir aufbewahrt werden, an dem dein Körper begraben ist, zurückkehren kann. Mit den ersten Sonnenstrahlen blätterte diese Beklemmung wie alte Farbe restlos von mir ab, und ab diesem Moment konnte ich so tief durchatmen wie schon lange nicht mehr. In Thailand und Australien habe ich gelernt, dich auf eine andere (weniger belastende) Art zu spüren und in mir zu tragen. Das war so wertvoll und befreiend in einem.
Jetzt sind wir fast acht Wochen wieder im Lande und meine Seele ist erneut die Gefangene meiner Sehnsucht - wenn auch mit Freigang. Luke hat sich deine Kleiderkiste in s(d)ein Zimmer getragen und sich ein paar Teile für sich genommen. Gerade eben, als er nicht da war, bin ich in das Zimmer geschlichen und habe jedes einzelne Kleidungsstück aus dieser Kiste unter meine Nase gehalten in der Hoffnung, noch irgendetwas von dir darin zu riechen... ich konnte mich nicht dagegen wehren... auch nach fünf langen Jahren nicht. Seit zwei Tagen steigt meine innere Sehnsucht nach dir wieder so stark an, dass dieses fragile Stückchen, das sich auf der Reise entwickelt hat, erste Risse bekommt, weil der Drang, dich in Fleisch und Blut in meine Arme zu schließen, plötzlich wieder so übermächtig ist. Wie ein Blitzlichgewitter stürzen Erinnerungen auf mich ein:
2008 - Du wirst mit deiner Mannschaft Hallenfußballmeister, stehst im Tor und hälst das entscheidende Elfmeter. Voller unbändiger Freude rast du durch die Halle.
2013 - Waldshut-Tiengen. Du testest dein Skateboard, versuchst Sprünge auf Parkplätzen und liegst abends im Dunkeln mit Micha auf dem von der Sonne erwärmten Straßenasphalt und schaust in den Sternenhimmel
2012 - das Jahr beginnt so scheiße für dich. Dein Knie ist dick geschwollen und heiß, du kannst kaum laufen. Die Diagnose: Borreliose. Drei Wochen bekommst du im Krankenhaus in Iserlohn eine Antibiose und strikte Bettruhe verordnet. Ich bringe dir einen Bubble tea, den du dir gewünscht hast.
2002 - du kriegst auf dem Spielplatz eine Schaukel von mir (glaube ich) an die Unterlippe und es blutet schrecklich. Die Zähne sind aber noch alle drin.
2003 - wir sind auf Sizilien und wandern durch eine wunderbare Schlucht. Leider fällst du in ein kleines Wasserloch und bist pitschnass, so dass wir dir Michas überdimensionale Badeshorts anziehen. Du siehst zum Piepen aus.
2020 - Was würdest du studieren? Wo würdest du studieren. Welches Auto (oder hast du überhaupt ein Auto?) würdest du fahren. Ich tippe auf irgendetwas Unkonventionelles. Ich sehe dich, wie du Luke liebevoll in die Seite knuffst und er dich in den Arm nimmt. Ich sehe Ada und Vianne, die dich beide gleichzeitig in die Arme schließen, weil du nach Wochen endlich mal wieder zuhause vorbeischaust...
Eigentlich brauche ich nicht die Welt. Ich brauche nur dich. Auch wenn die Welt wunderbar ist und diese Reise uns letztendlich gestärkt hat.
Schön wieder von euch zu hören!
AntwortenLöschenWas ein Comeback in Deutschland- die Welt stand still!