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Mittwoch, 16. November 2016

Heute

Zitat Jesse (im Alter von 12 Jahren): "Ein Teil der Zukunft liegt in der Vergangenheit, doch ein anderer liegt bei uns."

Wie weise du warst..., mein Großer! Ich weiß, dass die Entscheidung, welchen Weg ich letztendlich einschlage, ob ich an deinem Verlust zerbrechen werde oder mich mutig dem Hier und Jetzt entgegenwerfe, mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen und einer großen Portion Zuversicht in den Augen, ganz allein bei mir liegt. Nur Funktionieren reicht nicht, das spüre ich mit jeder Faser meines Körpers und mit jedem Aufschrei meiner Seele. Ja, ich weiß darum und doch ist es so schwer, aus diesem klebrigen, zähen, pechschwarzen Teer aus Schmerz und Sehnsucht aufzutauchen. Ich möchte dich/euch einfach nur wiederhaben...euch anschauen und berühren dürfen, euch zuhören und mit euch gemeinsam lachen, streiten, weinen, diskutieren, scherzen, mit euch erleben, euch meinen Blick auf die Welt zeigen und mir euren zeigen lassen...einfach mit euch leben!
Jesse, obwohl du noch gar nicht erwachsen warst, hat mir deine Gegenwart immer Sicherheit gegeben. Wie dringend bräuchte ich jetzt deinen Rat, wie gerne würde ich deine Überlegungen teilen! Mir fehlen deine weisen Worte und deine, wenn auch manchmal skurrilen Vorschläge sowie deine revolutionären Ansichten ("Macht aus dem Staat - Gurkensalat", "Ob friedlich oder militant, wichtig ist der Widerstand!") Wie oft wir dabei aufeinandergeprallt sind, was für energiegeladene, kontroverse Diskussionen wir ausgetragen haben - häufig gewürzt mit einer Prise Ironie und einer Messerspitze Sarkasmus. Die Liebe zur Philosophie war uns beiden zu eigen. Vor anderthalb Jahren hast du dir von Fynn das Buch "Sigmund Freud" ausgeliehen. Dabei warst du gerade erst 15 Jahre alt und hattest doch den weisen Blick eines Menschen, der schon einmal hinter den Vorhang geschaut hat - auch wenn du altersbedingt so einigen Mist gebaut, ausufernde Partys gefeiert und dich ausprobiert hast, auch über Grenzen hinaus. Aber du wusstest, was du wolltest, warst nie ein schnöder Mitläufer. Unglaublich!

Deine Freunde haben mir erzählt, dass dein Stuhl im SoWi-Leistungskurs im letzten Schuljahr unbesetzt geblieben ist. Niemand hat sich dort hingesetzt, so, als ob du noch anwesend wärst. "Jesse war eigentlich der SoWi-Kurs", hat mir mal eine Freundin von dir erzählt, da du die Stunde so wahnsinnig aktiv mitgestaltet hättest.
Manchmal glaube ich, dass du und Vianne schon sehr weit gereist ward, dass ihr nur noch eine klitzekleine Aufgabe hier - in dieser Welt - zu erledigen hattet, dass euch nur noch eine winzige Erkenntnis sammeln musstet, um weiterzuziehen... oder um zurückzukehren an einen Ort, an dem wir alle bereits viel mehr Zeit verbracht haben als hier auf der Erde, in diesem Leben, in dieser Dimension. Wer weiß?

"Gestern ist weg. Morgen ist noch nicht gekommen. Wir haben nur heute. Lasst uns beginnen." (Mutter Teresa)

Ich weiß, dass du nicht gewollt hättest, dass ich mich verliere. Ich glaube, nein, ich hoffe, ich bin auf einem guten Weg. Allerdings schleicht sich jetzt eine Wut ein, die bisher so noch nicht durchgedrungen ist, nun aber stetig zu wachsen scheint. Es ist die Wut auf all' die vielfältigen Erfahrungen und Erlebnisse, die dir verwehrt geblieben sind. Deine Freunde haben jetzt ihren Führerschein gemacht. Verdammt! Natürlich freue ich mich für sie. Aber es schmerzt. Als wir uns letztens mit unseren Freunden zur Wanderung am Schwarzenberg getroffen haben, hat Noah seine Eltern hergefahren. Wie sehr ich mir gewünscht hätte, dass du uns fährst - gerade frisch den Führerschein in der Hand. Ich sehe es ganz bildlich vor mir. Du am Lenkrad, Noah am Lenkrad, und Astrid und ich mit einem fetten, stolzen Grinsen im Gesicht auf unsere großen Jungs. Im Winterurlaub, den wir mit ebendieser Truppe verbracht haben, hat sich Noah sehr lieb um Luke gekümmert, hat ihn einbezogen, hat ihm Snowboard-Tricks gezeigt. Verdammt! Es war so herzlich von ihm und hat Luke so gut getan. Danke Noah!  Aber warum durftest du nicht für Luke da sein???  Warum durftest du dich nicht als großer Bruder einbringen? Scheiß-Wut! Wohltuende Wut! Verzehrende Wut! Letztens fuhr ich abends mit Ada im Auto. Plötzlich sagte sie mit einer Mischung aus Inbrunst, Wut und Sehnsucht: "Das ist so unfair!" "Was ist unfair?", fragte ich sie. Sie antwortete: "Da ging gerade ein Mädchen her , so alt wie ich, mit einem Jungen an der Hand, so alt wie Jesse - und Jesse ist tot!" "Ja, das ist unfair!", antwortete ich bestimmt. Wir alle fühlen uns betrogen um das Leben mit dir und Vianne. Ja, unfair!!!   

"Lass mich jetzt bitte los", flüsterte die Vergangenheit, während die Zukunft mit offenen Armen daneben stand." (unbekannt)

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