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Donnerstag, 17. September 2020

Believe in me...

 

Samstag, 19. September 2015  

(Auszug aus einem aktuell nicht veröffentlichten Teil des Ursprungsblogs "Ich heiße Vianne!" - damals noch bei blog.de beheimatet)

Meine Finger fühlen sich etwas eingerostet an, weil ich so lange nicht mehr auf diesen Seiten (Anm.: Viannes Blog) geschrieben habe... Mein Herz wird aber immer mit diesen Zeilen verbunden bleiben... Ich weiß, dass einige von euch Jesse hier gesucht und in einigen Beiträgen, auf einigen Fotos auch gefunden haben, zumindest einen kleinen Teil von ihm. Das ist gut. Jesse und Vianne - verwoben, verbunden, vereint? Er wird einen Weg zu ihr finden, und wenn es keinen gibt, wird er einen bauen - mit einer ebensolchen Ruhe und Strebsamkeit, mit Ehrgeiz, Raffinesse, Liebe und einer zielgerichteten Energie, die ihn auch im Leben ausgezeichnet haben. Er wird sie halten, sie wohlig in den Arm nehmen, sie neckisch knuffen, sie hoch in die Luft werfen, bis sie vor Freude quiekt - und sie genauso sicher wieder auffangen. Und sie wird ihn mit ihren kleinen Fingerchen sanft über sein Gesicht streichen wie sie es immer getan hat... Ihr dürft ihn suchen! Hier oder anderswo. Und ihr werdet ihn finden - tief in euren Herzen... 

Jesse ist gestorben. Am Donnerstag, 17. September 2015, um 21:09 Uhr. Nach einer Stunde vergeblicher Reanimation... 


 

Sehr abstrus diese Stunden, während die Ärzte versuchten, sein Leben zu retten, und wir, ausharrend in einem sterilen Wartezimmer, festsaßen, gefangen wie ein Tiger im Käfig, der stupide an den Gitterstäben entlangstreicht, immer der gleichen Route folgend, um nicht durchzudrehen. Durch Tür und Wände gerade einmal 20-30 Meter von Jesse räumlich getrennt, und doch gefühlt meilenweit entfernt, während mein ältester Sohn um sein Leben kämpft. Mir wird gerade kotzübel, während ich diese Zeilen schreibe. Eingesperrt. Nein, eher ausgesperrt. Zum Warten verdammt. Mit spärlichen Infos gefüttert, gerade soviel, um nicht zu verhungern. Ich weiß noch, wie der Arzt flüchtig seinen Kopf durch die Tür zum Wartezimmer steckte und uns entgegenrief, dass sie gerade reanimieren. 

Dann durften wir zu ihm. Nur war er da bereits tot. Ich habe ihn das erste Mal nach seinem Sturz ohne Schläuche und Beatmungsgerät gesehen. Es mag sich komisch anhören, aber das war das Erste, was mir aufgefallen ist. Nach dem ganzen verkrusteten Blut an Mund, Ohr und Nasenlöchern... Wie konnte aus Jesse, einem kräftigen, willensstarken jungen Mann,  sämtliche Lebensenergie entweichen? Nach einem Unfall aus rund vier Metern Höhe. Es waren "nur" vier Meter!!!  Manche überleben Stürze aus größerer Höhe. Sogar nach einem Fallschirmabsprung. Die ganzen langen sechs Tage zwischen seinem Sturz und seinem Tod habe ich immer wieder gedacht, dass er gar nicht sterben kann. Dass das rein statistisch gar nicht sein kann. Zwei Kinder innerhalb von nicht einmal zwei Monaten. Statistiken sind scheiße! 

Es ist schon interessant, wie der menschliche Geist funktioniert. Ich weiß noch, dass ich nicht lange bei Jesse war, nachdem wir zu ihm durften.  Ich kann mich nicht mehr an Einzelheiten erinnern. Ich war da - und doch nicht. Trauma. Kein Traum. Ich weiß, dass ich Jesse berührt habe, aber ich weiß nicht, ob ich ihn geküsst habe. Im Nachhinein hätte ich mir mehr Zeit gönnen sollen mit ihm. Aber damals reichte mir der Moment, obwohl ich nicht einmal sagen kann, ob er 5 oder 10 Minuten oder eine halbe Stunde gedauert hat. Ich weiß noch, dass ich strukturiert und leise war. Fast kalt gewirkt habe. Kein Schreien. Keine Tränen. Nur reine Funktion. Irgendwie glasklar, und andererseits gedämpft. Schock. Reine Überlebensinstinkte übernehmen. Ich wusste nur eines: Ich muss hier weg und ich kann nicht nach Hause. Kann nicht Ada und Luke, meiner Schwester und Ralf entgegentreten. Kann ihnen Jesses Tod nicht persönlich mitteilen. Und ich kann nicht mit Micha OHNE Jesse gemeinsam irgendwohin. Ich hatte vorher einen Deal gemacht und ließ mich abholen, um abzutauchen. Ganz tief. Mit dem Wunsch der absoluten Betäubung, der inneren Abspaltung. Dissoziation. Schock. Ich organisierte noch, dass Micha von Freunden sicher nach Hause begleitet wird (an dieser Stelle aus tiefsten Herzen: Danke Nicole und Frank). In der Wartezeit ging ich den Krankenhausflur - es muss schon spät am Abend gewesen sein - auf und ab, immer der gleichen Anzahl an Schritten folgend, krampfhaft am Schema entlanghangelnd, bis ich an der kalten Wand angekommen war, vor die ich meinen Kopf rammte. Gerade so fest, dass ich körperlichen Schmerz spürte, um dazubleiben. Um meinen Verstand nicht von einem Schmerz auffressen zu lassen, der das Universum in die Tasche gesteckt hätte. Immer wieder. Immer die gleichen Abläufe, an denen ich mich Schritt für Schritt mental am Leben hielt. 20 Schritte hin, 20 Schritte zurück, Kopf vor die Wand, 20 Schritte hin, 20 Schritte zurück, Kopf vor die Wand, 20 Schritte hin, 20 zurück, Kopf vor die Wand, 20.... Immer und immer wieder. Ich wusste, dass ich diese Nacht nur überlebe, wenn ich mich mental abspalte, mein altes Leben, ein Leben mit Jesse, abstreife. Sofort. Ganz. Ohne Rücksicht auf Kollateralschäden. Mein Leben in der bisherigen Art und Weise weiterzuleben erschien mir unmöglich. Und ich wusste genau. Mache ich diesen Schritt nicht, zerbreche ich. Wie gesagt: Reiner Überlebensinstinkt, brachiale Reduktion auf das Wesentliche. Das hat mich gerettet. Zwei Tage später, am Samstag, 19. September 2020, habe ich die obigen Zeilen in Viannes Blog schreiben können. Durchdrungen von Liebe.

Donnerstag, 17. September 2020 

I'd like to say I'm ok but I'm not... Ich habe überlebt, ja, habe einen Teil meiner Persönlichkeit hinüberretten können - und einen großen Teil verloren. Ein Video aus der Schweiz aus dem  Jahre 2013, das ich gestern beim Stöbern in der GoPro-Datei gefunden habe,  hat mir glasklar vor Augen gehalten, wie viel ich verloren habe. Was für ein Spiegel! Man denkt ja auch immer, man altert nicht. Genauso ist es mit der Wahrnehmung, dass man sich gar nicht so sehr verändert habe. Wie viel Wut und Unzufriedenheit meinen Alltag heute leider allzu oft bestimmen. Wie wenig Lachen, Ausgeglichen- und Unbeschwertheit in Vergleich zu früher noch übrig geblieben sind. Und das Video stammt aus einer Zeit unter Viannes Erkrankung, so dass ich auch da schon allen Grund gehabt hätte, die Traurigkeit in mein Leben zu lassen. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich noch von der Hoffnung durchtränkt, dass alles ein gutes Ende nimmt, trotz aller Sorgen. Die Schweiz, das PSI und seine Mitarbeiter: Hoffnungsträger und Herz in einem. Es ist nicht so, dass ich fünf Jahre nach Jesses Tod nicht lebe. Das tue ich. Aber nicht an Tagen wie heute. Doch hin und wieder. "Und das muss genügen", sage ich mir dauernd. Ich bin demütiger geworden. Ich bin müder geworden. Verarbeitungsmechanismen, die mir in den vergangenen Jahren zuverlässig geholfen haben, musste ich in diesem Jahr abstreifen. Das erklärt vielleicht meinen mentalen Einbruch heute. Und wer mich kennt, weiß, dass ich mehr will als ein "das muss genügen". Ich habe gestern wirklich überlegt, ob ich kurzerhand zu Luke (Tätowierer) nach Bangkok fliege und mir endlich mein Jesse-Tattoo stechen lasse. Wirklich! Kein Scherz. Ok, ich bin doch noch da und nicht gänzlich abhanden gekommen :). Das beruhigt.

Es ist interessant, sich selbst zu betrachten: Nach Jahren der nicht versiegenden Tränen ist mir aufgefallen, dass mein rechtes Auge schneller weint als mein linkes. Kennt ihr das? Ich kann auch leise und unauffällig weinen, da ich meistens keinen Bock darauf habe, getröstet zu werden. Ist auch nicht nötig. Das hier ist eine Momentaufnahme. Morgen weht ein frischer Wind, das weiß ich. Ich hatte heute ein gutes Gespräch mit Luke. Er hält sich nicht an diesen Eckdaten (Geburtstag, Todestag etc.) fest. Das ist gesund. "Eigentlich macht's doch keinen Unterschied." Er hat Recht. Jesse ist weg: Heute, Morgen, Übermorgen... und lebt in uns und all seinen Freunden weiter. Übrigens Danke für eure lieben Nachrichten heute. Ich bin immer wahnsinnig berührt, dass ihr auch so viele Jahre nach seinem Tod mit dem Herzen noch bei ihm (und uns) seid.
Ada hat heute leckere Muffins für uns gebacken...   

Auf dem Video aus der Schweiz haben wir übrigens eine Paddeltour auf dem Rhein gemacht und haben uns mit der Strömung mitreißen lassen. Jesses trockene Kommentare in dem Video sind zum Schreien. 

 

Andere Sequenzen zeigen ihn mit Kai beim Skateboarden. Lässig, cool, smart, mit einem spitzbübischen Grinsen und einer Riesenportion Charme durchtränkt...









Wie du mir fehlst, Jesse. Ich hoffe, es gibt vernünftige Skateboard-Decks, da wo du jetzt bist und genug Möglichkeiten, um abseits der Pisten snowboarden zu können. Fly high, hab Nachsicht mit mir, Jesse, und gib die Hoffnung nicht auf, dass ich den verloren gegangenen Teil meiner Selbt wiederfinde. Believe in me. Liebe dich. Mein Herz zu deinem Herz. Meine Seele zu deiner Seele...


Freitag, 11. September 2020

Absturz

 Du stürzt heute - und ich stürze mit dir. Tief. Nichs kann ich dagegen tun, gar nichts - weder gegen deinen, noch gegen meinen Sturz an diesem 11. September, an dem noch so viel mehr zusammenbricht*. Ich falle und schlage hart auf, werde aber wieder aufstehen, meine Wunden verbinden und weiter waten, bis es sich wieder leichter läuft, während du für immer am Boden liegenbleibst. Ich hätte dich nicht fahren lassen dürfen. Ich hätte dich gegen deinen Protest hierbehalten sollen, hätte meinem Bauchgefühl folgen sollen, dass mich erst verzweifelt und wild angeschrien und später nur noch leise und hilflos angefleht hat, dich nicht mitfahren zu lassen. Ich wollte dir eine Freude machen, dich ziehen lassen, dir ein unbeschwertes Wochenende auf dieser Tennisfahrt gönnen... und habe nicht auf meine inneren Zweifel gehört - und das hat dich dein Leben gekostet. Ich weiß vom Ratio, dass ich keine Schuld daran trage - aber mein Herz schreit mich immer wieder an, dass ich versagt habe. Ich hätte schließlich geschworen, dich zu beschützen, vom ersten Tag an, als ich von dir wusste, noch bevor du deinen ersten Atemzug getan hast. Du atmest nicht mehr. Nie mehr. Und ich ersticke heute langsam.

Noch vor wenigen Tagen habe ich zu einer Freundin gesagt, dass ich diese Septemberwoche im Griff habe, mich gut fühle, vorbereitet sei. Bullshit. Heute unterliegt so rein gar nichts meiner Kontrolle. Ich bin angeschlagener als im Vorjahr, angeschlagener, als ich mir eingestehen mag. Ich bin dünnhäutig, knalle Türen zu, mache meine Tochter klein, anstatt ihr beim Wachsen zu helfen. Luke ist heute Abend auf einer Party in Kalthof und will spät nach Hause kommen. Gerade heute. Meine Angst um ihn hält mich heute gefangen. Aber morgen streife ich sie wie einen alten Mantel ab, schaue Richtung Sonnenaufgang und lasse mich vom frischen Wind nach vorne treiben...


*9/11: in memory of all victims of crime and terror 

Dienstag, 9. Juni 2020

Unter die Haut...

 "One night in Bangkok" könnte der Alternativtitel dieses Blogeintrags lauten. Schon seit geraumer Zeit war der Wunsch bei Luke und mir vorhanden, dich und Vianne unter unserer Haut zu tragen. Luke wollte dich verewigt haben, ich Vianne und dich. Die Ausarbeitung des Tattoos musste reifen wie ein guter Wein, denn es sollte etwas sein, dass wir eng mit euch beiden in Verbindung bringen und eine tiefere Bedeutung für uns hat. Ebenso wollten wir die richtige Körperstelle auswählen: dezent-präsent und vor allen Dingen für uns gut sichtbar. Ich glaube mittlerweile fest an Schicksal. Wir sollten auf unserer Reise auf Luke Satoru treffen - und er auf uns. Die Zeit war reif...

Ich hatte bewusst keinen festen Zeitpunkt für die Umsetzung gewählt. Ich dachte mir, dass der richtige Moment auf mich zukommen würde. Und genau so war es. Luke brachte den Stein ins Rollen, indem er uns ansprach, ob wir uns nicht während unserer Reise die Tattoos stechen lassen wollten. Ich hatte den gleichen Gedanken seit Beginn unserer Reise. Allerdings wollte ich mich nicht unter Druck setzen und mich nicht gezielt auf die Suche nach einem guten Tätowierer in Thailand oder Australien begeben. Wie es der Zufall so wollte, war in unserem Elefin Bed & Breakfast in Bangkok unter dem Dach ein Tattoo Studio untergebracht mit angrenzender Dachterrasse, das vom Besitzer unseres kleinen, aber feinen Bed and Breakfast betrieben wurde: Luke Satoru. "Black Pig Tattoo" war schnell gegoogelt - und hatte hervorragende Kritiken vorzuweisen. Luke ist ein American-Thai, der in den USA aufgewachsen ist und nun mit seiner Familie in Bangkok lebt. Sein Handwerkszeug und eine Materialien: super Qualität - Hygiene auf hohem Standard. Die Farben bezieht er aus den USA. Aber was ebenso wichtig war: Als ich mich im Elefin bei einer Mitarbeiterin nach ihm erkundigte, stellte sie gleich den Telefonkontakt her, da er gerade nicht vor Ort war: solch ein sympathisches Telefonat habe ich selten geführt. Wir sendeten und empfingen von Anfang an auf derselben Frequenz - und er hatte am späten Nachmittag sogar noch einen Termin für uns frei. Vor uns war noch ein Stammkunde dran, der extra aus den USA angeflogen war, um sich von Luke tätowieren zu lassen.
Beim persönlichen Aufeinandertreffen bestätigte sich die Sympathie, die ich bereits am Telefon gespürt hatte. Die Chemie stimmte einfach. Von Anfang an hatte ich tiefes Vertrauen - in ihn als Mensch und in seine Fähigkeiten als Tätowierer. Wir legten ihm unsere doch eher laienhaften Entwürfe vor und erzählten ihm die Geschichte, die sich dahinter verbirgt. Luke war sichtlich berührt - und setzte unsere Ideen professionell auf seinem IPad um. Beim Tätowieren habe ich keinerlei Schmerz empfunden - nur reine, tiefe Freude und innige Verbundenheit. Eigentlich wollte ich mir für dich, Jesse,  und für Vianne ein Tattoo stechen lassen, aber die Zeit reichte nur für Viannes Tattoo bei mir.  Luke (der übrigens Lukes jüngster Kunde war) trägt dich auf für immer in und bei sich.












Eine Begegnung, die wahrlich unter die Haut ging... Und mit dir bin ich noch nicht fertig, Jesse. Wart's ab😉

Montag, 18. Mai 2020

Wieder da

Ich bin zurück - in vielerlei Hinsicht. Ich bin zurück auf deinem Blog. Ich bin zurück aus Thailand und Australien. Ein winziger Teil meiner selbst, der, den du zu deinen Lebzeiten kennengelernt hast, ist zurückgekehrt, auch wenn dieser Teil noch äußerst fragil und durchscheinend ist. Aber ich behalte ihn.



"Ich habe sozusagen zu leben gelernt, als mir die Einsicht kam, dass ich niemals Glück oder Frieden finden werde. Aber solange ich weiß, dass die Chancen, das eine oder andere von Zeit zu Zeit zu erwischen, nicht allzu schlecht stehen, gebe ich mein Bestes zwischen den großen Augenblicken."
(Hunter S. Thompson)
 
Es ist lange her, dass ich hier etwas niedergeschrieben habe, Jesse. Ich wusste nicht, wie ich nach dieser langen Auszeit anknüpfen sollte... wir sind verändert in ein verändertes Land zurückgekehrt, wobei ich nicht nur die vielen Kehrseiten sehe. Unsere Rückkehr verlief, abgesehen von den etwas turbulenten und bis zuletzt unsicheren Rückflügen, sehr behutsam und beinahe sanft, da das gesellschaftliche Leben in Deutschland nahezu auf Null gefahren war. Das kam uns zu Gute, da wir die letzten Monate ohne Verpflichtungen, Anforderungen und Termine in unserer Familieneinheit verbracht haben und die Rückkehr in das "normale" Leben uns sicherlich überfahren hätte. Keine Sporttermine, kein Präsenzunterricht, keine Partys, kein - alles. Wir waren glücklich, Vita und unser Zuhause wiederzusehen, saßen in unserem kleinen Garten in der Sonne und waren noch beseelt und bestärkt von den wohlig-warm-erdigen Reiseeindrücken. 
Zehntausende Kilometer entfernt fiel es so viel leichter, demütig und dankbar auf die gemeinsame Zeit mit dir zurückzuschauen - ergriffen von deiner Persönlichkeit, deinem herzhaften Lachen, deiner Sturköpfigkeit und deiner feinen Ironie. Wie oft am, im und auf dem Meer, unter dem seltsam verdrehten Sternenhimmel, in den unglaublichen eukalyptusgrün schimmernden Weiten der Blue Mountains oder unter dem schützenden satten Blätterdach des Regenwaldes habe ich mit einem Lächeln an dich gedacht. Hier zu Hause denke ich so oft voller tiefer Trauer an dich - und das nimmt dich mir gleichzeitig wieder weg. 
In einer der ersten Nächte in Thailand wurde mir plötzlich bewusst, wie weit ich räumlich von dir entfernt bin - und ich rang nach Luft vor lauter Furcht vor dem Gedanken, dass ich aus irgendeinem Grund nicht mehr an diesen Ort, an dem du alles durchtränkst, an dem die letzten wenigen persönlichen Dinge von dir aufbewahrt werden, an dem dein Körper begraben ist, zurückkehren kann. Mit den ersten Sonnenstrahlen blätterte diese Beklemmung wie alte Farbe restlos von mir ab, und ab diesem Moment konnte ich so tief durchatmen wie schon lange nicht mehr. In Thailand und Australien habe ich gelernt, dich auf eine andere (weniger belastende) Art zu spüren und in mir zu tragen. Das war so wertvoll und befreiend in einem. 
Jetzt sind wir fast acht Wochen wieder im Lande und meine Seele ist erneut die Gefangene meiner Sehnsucht - wenn auch mit Freigang. Luke hat sich deine Kleiderkiste in s(d)ein Zimmer getragen und sich ein paar Teile für sich genommen. Gerade eben, als er nicht da war, bin ich in das Zimmer geschlichen und habe jedes einzelne Kleidungsstück aus dieser Kiste unter meine Nase gehalten in der Hoffnung, noch irgendetwas von dir darin zu riechen... ich konnte mich nicht dagegen wehren... auch nach fünf langen Jahren nicht. Seit zwei Tagen steigt meine innere Sehnsucht nach dir wieder so stark an, dass dieses fragile Stückchen, das sich auf der Reise entwickelt hat, erste Risse bekommt, weil der Drang, dich in Fleisch und Blut in meine Arme zu schließen, plötzlich wieder so übermächtig ist. Wie ein Blitzlichgewitter stürzen Erinnerungen auf mich ein: 
2008 - Du wirst mit deiner Mannschaft Hallenfußballmeister, stehst im Tor und hälst das entscheidende Elfmeter. Voller unbändiger Freude rast du durch die Halle.
2013 - Waldshut-Tiengen. Du testest dein Skateboard, versuchst Sprünge auf Parkplätzen und liegst abends im Dunkeln mit Micha auf dem von der Sonne erwärmten Straßenasphalt und schaust in den Sternenhimmel
2012 - das Jahr beginnt so scheiße für dich. Dein Knie ist dick geschwollen und heiß, du kannst kaum laufen. Die Diagnose: Borreliose. Drei Wochen bekommst du im Krankenhaus in Iserlohn eine Antibiose und strikte Bettruhe verordnet. Ich bringe dir einen Bubble tea, den du dir gewünscht hast.
2002 - du kriegst auf dem Spielplatz eine Schaukel von mir (glaube ich) an die Unterlippe und es blutet schrecklich. Die Zähne sind aber noch alle drin.
2003 - wir sind auf Sizilien und wandern durch eine wunderbare Schlucht. Leider fällst du in ein kleines Wasserloch und bist pitschnass, so dass wir dir Michas überdimensionale Badeshorts anziehen. Du siehst zum Piepen aus.
2020 - Was würdest du studieren? Wo würdest du studieren. Welches Auto (oder hast du überhaupt ein Auto?) würdest du fahren. Ich tippe auf irgendetwas Unkonventionelles. Ich sehe dich, wie du Luke liebevoll in die Seite knuffst und er dich in den Arm nimmt. Ich sehe Ada und Vianne, die dich beide gleichzeitig in die Arme schließen, weil du nach Wochen endlich mal wieder zuhause vorbeischaust...
Eigentlich brauche ich nicht die Welt. Ich brauche nur dich. Auch wenn die Welt wunderbar ist und diese Reise uns letztendlich gestärkt hat.














Du warst dabei!